TV-Interviews: Alles nur Theater?

7 Januar.2022 / 0 Kommentare

Wenn Spitzenpolitiker*innen sich zu einem Interview ins TV-Studio begeben, dann ist klar: Beide Seiten, die Politiker*innen und die Interviewer*innen, beherrschen die Regeln der politischen Kommunikation und der Rhetorik. Meist sehr gut. Ein vorprogrammiertes Patt? Nicht unbedingt.

Als Beispiel greife ich das ZiB2-Interview mit FPÖ-Chef Herbert Kickl zum Jahreswechsel heraus. Nicht wegen der Inhalte. Die werde ich nicht analysieren. Dafür aber das „Wie“, die Abfolge von Fragen und Antworten. Herbert Kickl gilt allgemein als professioneller Rhetoriker.


TV-Interview als Inszenierung


Wenn Herbert Kickl und Martin Thür einander im TV-Studio treffen, dann wissen beide ziemlich genau, mit welchen Fragen und Antworten sie jeweils zu rechnen haben. Das macht aber nichts. Denn beide sprechen weniger miteinander, sondern mehr mit dem Publikum. Die TV-Zuschauer*innen sind die eigentlichen Adressaten der Botschaften. Das zeigt sich sehr deutlich bei der ersten Interview-Passage, die ich herausgegriffen habe.


Thür: Sie haben immer wieder in den Raum gestellt, dass die Impfung als solche nicht wirkt.

Kickl unterbricht: … nicht genug…

Thür: Die Frage ist, wie gut Sie genug definieren. Da gibt es ja zahlreiche Studien, die zeigen, dass sie sehr gut vor schweren Verläufen schützt, wir sehen das ja auch heute an den heutigen Zahlen in den Krankenhäusern. Wir haben eine Grafik vorbereitet. Von einer Million vollständig Geimpften sind – Stand heute –  13 Personen auf einer Intensivstation, von einer Million nicht vollständig Geimpften sind insgesamt 108 Personen auf einer Intensivstation. Also sehr viel deutlicher kann man ja die grundsätzliche Wirkung einer Impfung eigentlich kaum darstellen.

Kickl: Sie wirkt ja, aber sie wirkt nicht so, dass sie der Gamechanger ist, der uns aus der Pandemie herausbringt. Und das war ja das zentrale politische Versprechen. Und ich habe damals gefragt, ich sage es noch einmal, wie man zu diesen Aussagen kommt. Es konnte ja niemand von Seiten der Regierung sagen, es war ein ungedeckter Scheck, den man hier ausgestellt hat und der es der Regierung auf den Kopf gefallen. Und es wird nicht besser, im Gegenteil, es wird immer schlechter mit diesem Weiterboostern und Weiterboostern….

Die Analyse:

Kickl darf auf die Zahlen und Fakten nicht eingehen, zu eindeutig ist die Aussage. Also wechselt Kickl das Thema, er wählt sich dafür den noch immer präsenten Begriff „Gamechanger“ aus. Damit trifft er die Gefühlslage ihm wichtiger Zielgruppen, die sich darüber ärgern, dass trotz gestiegener Impfquoten kein Ende der Corona-Pandemie in Sicht ist.

Also: Politiker*innen antworten in Interviews häufig mit einem ganz anderen Thema. Das funktioniert aber nur dann, wenn es für die Rezipient*innen einen hohen emotionalen Wert hat: wenn sie sich darüber aufregen, wenn sie sich ärgern, wenn es gerade ein Talkabout-Thema ist  usw. Mit der Positionierung des neuen Themas vergessen die Rezipient*innen auf das, wonach eigentlich gefragt wurde.

Ein weiteres Beispiel

Thür: Da haben Sie auch immer wieder Mittel empfohlen, deren Wirkung nicht nachgewiesen ist oder mittlerweile sogar das Gegenteil bewiesen ist. Ein ganz prominentes Mittel: Ivermectin, das beim Menschen vor allem gegen Parasiten und Krätze eingesetzt wird. Das haben Sie immer wieder für Covid 19 empfohlen…Warum tun Sie das im vollen Wissen, dass Menschen Ihnen zuhören und dass Sie diese Menschen vielleicht auch in Gefahr bringen?

Kickl: Diese ganze Corona Pandemie wäre für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine riesige Chance gewesen, dadurch aufzufallen in der medialen Berichterstattung, dass man seriös und umfassend berichtet. Sie hätten die Gelegenheit, hier jeden Abend in die ZiB 2 Ärzte einzuladen. Aus Österreich, aus der Schweiz, aus Deutschland.

 

Die Analyse:

Wiederum ähnlich wie im vorherigen Beispiel: Kickl wechselt vom Medikament Ivermectin auf die Kritik am ORF. Auch hier rechnet er damit, dass dieses Thema in seinen Zielgruppen starke Emotionen auslöst. Er schiebt mit diesem Themenwechsel das Medikament Ivermectin gleichsam vom Interviewtisch weg.

Die Aufgabe des Interviewers/der Interviewerin:

Fragen formulieren, die starke Bilder beinhalten, die auch bei einer umgeleiteten Antwort noch weiterwirken. So hat der Interviewer/die Interviewerin die Möglichkeit der Nachfrage oder der Metakommunikation („Sie sind bereits 2x meiner Frage ausgewichen…“ etc.)